Zuhd (Askese)
Wörtlich bedeutet zuhd so viel wie ,Verzicht auf weltliche Vergnügungen' und ,Verweigerung fleischlicher Gelüste'. Bei den Sufis bringt der Begriff ,Askese' jedoch die Gleichgültigkeit gegenüber weltlichen Neigungen und eine enthaltsame Lebensführung zum Ausdruck. Darüber hinaus bezeichnet er auch das Unterlassen aller Sünden aus Furcht vor Gott und die Geringschätzung der fleischlichen und materiellen Aspekte der Welt.
Askese wird auch als Verzicht auf die vergänglichen irdischen Bequemlichkeiten und Wohltaten zu Gunsten des ewigen Glücks im Jenseits beschrieben.
Das Gefühl dafür, sich unrechtmäßiger Dinge zu enthalten und sich innerhalb der Schranken des Gesetzes zu bewegen, ist ein erster Schritt zur Askese. Der zweite und endgültige Schritt besteht darin, auch bei erlaubten und rechtmäßigen Dingen sehr genau zu sein.
Ein Asket ist jemand, der in der Erfüllung seiner Pflichten standhaft ist und sich den Missgeschicken, die ihm widerfahren, und den Übeln, die seinen Weg kreuzen, widersetzt. Er ist mit allen Entscheidungen, die der Schöpfer für ihn trifft, mit allem, was Er ihm antut und mit jedweder Art und Weise, wie Er ihn behandelt, zufrieden; nur Unglauben und falsche Unterweisung kann er nicht akzeptieren. Ein Asket ist auch jemand, der sich zum Ziel gesetzt hat, Gott zu gefallen; jemand, der sich dazu entschlossen hat, andere Menschen in der absoluten Wahrheit zu unterweisen und dafür mit Seinem Segen und durch Seine Freigebigkeit einen ewigen Wohnsitz im Paradies zu beziehen hofft. Im Ohr seines Herzens klingt Gottes Vers Die Nutznießung dieser Welt ist gering, und das Jenseits wird für die Gottesfürchtigen besser sein.[1] nach. Der Befehl Sondern suche in dem, was Allah dir gegeben hat, die Wohnstatt des Jenseits; und vergiss deinen Teil an der Welt nicht.[2] breitet sich von selbst in alle Zellen seines Gehirns aus. Gottes Warnung Dieses irdische Leben ist nichts als ein Zeitvertreib und ein Spiel; die Wohnstatt des Jenseits aber - das ist das eigentliche Leben, wenn sie es nur wüssten![3] gelangt tief hinunter bis zu seinen innersten Sinnen.
Einige haben Askese erstens als Beachtung der Gesetze der Scharia selbst in Momenten der Niedergeschlagenheit und besonders der finanziellen Nöte und zweitens als Leben für andere oder als die Sorge um das Wohlergehen und das Heil anderer Menschen in Zeiten eigenen Wohlbefindens beschrieben. Für andere ist Askese zum einen die Dankbarkeit für die Gaben Gottes, die Er auf gerechte Art und Weise bereitstellt, bzw. die Erfüllung der Verpflichtungen, die uns aus der Gewährung dieser Gaben entstehen, und zum anderen der Verzicht darauf, Geld und Waren zu horten, es sei denn dies geschieht in der Absicht, den Islam zu preisen und zu unterstützen.
Namhafte Führer des Sufiweges wie Sufyan ath-Thawri betrachteten die Aktivität eines Herzens, das mit der Billigung Gottes und Seinem Wohlgefallen angefüllt und weltlichen Ambitionen gegenüber verschlossen ist, als wahre Askese, und nicht den Umstand, dass man sich mit einfacher Nahrung und Kleidung zufrieden gibt.[4] Ihnen zufolge gibt es drei Zeichen, an denen man einen wahren Asketen erkennen kann:
1. Weltliche Dinge, die er erwirbt, bereiten ihm keine Freude, und weltliche Dinge, die er versäumt, bereiten ihm keinen Kummer.
2. Wenn man ihn lobt, ist er darüber nicht erfreut; kritisiert man ihn, ist er darüber nicht erbost.
3. Er zieht den Dienst an Gott und den Aufenthalt in Seiner Gegenwart allem anderen vor.
Wie Furcht und Hoffnung ist auch Askese ein Vorgang des Herzens; der einzige Unterschied zu jenen liegt darin, dass Askese die Handlungen des Menschen beeinflusst und sich in ihnen wider spiegelt. Ob bewusst oder unbewusst - ein wirklich aufrichtiger Asket versucht den Regeln der Askese in allen seinen Taten zu folgen: beim Essen und Trinken, beim Zu-Bett-gehen und Aufstehen, beim Sprechen und Schweigen, beim Rückzug in die Klausur oder beim Aufenthalt in der Gesellschaft von Menschen etc.. Niemals zeigt er einen Hang zu weltlichen Verlockungen. Dschalal ad-Din ar-Rumi unterstreicht dies mit den folgenden treffenden Worten:
„Was ist die Welt? Sie ist die Unachtsamkeit Gottes;
Nicht Kleidung, nicht Silbermünzen, nicht Kinder, nicht Frauen.
Wenn du weltliche Güter im Namen Gottes dein Eigen nennst,
Sagt der Prophet: ,Wie schön ist der Besitz eines rechtschaffenen Mannes!'[5]
Wasser im Schiff bringt es zum Sinken,
Wasser unter dem Schiff lässt es gleiten.
Weder weltliche Ambitionen noch Reichtum stehen im Widerspruch zur Askese, vorausgesetzt dass der Mensch die Kontrolle über sie behält und sich nicht von ihnen erdrücken lässt. Nichtsdestotrotz war Muhammad, der Ruhm der Menschheit, Friede und Segen seien mit ihm, der wahrhaftigste und aufrichtigste aller Asketen; er zog es vor, wie die Ärmsten der Armen seines Volkes zu leben. Dabei darf allerdings nicht vergessen werden, dass er für seine Gemeinschaft und vor allem für diejenigen, deren Aufgabe darin bestand, die Wahrheit zu verkünden und für sie zu werben, mit bestmöglichem Beispiel vorangehen musste. Darum durfte er anderen Menschen keinen Vorwand liefern zu behaupten, er würde die heilige Mission der Prophetenschaft missbrauchen, um sich weltlichen Vergünstigungen hinzugeben. Zweitens musste er sich seinen Vorgängern anschließen, die verkündet hatten:
Mein Lohn kommt nur von Gott allein.[6]
Aus diesen und weiteren ähnlichen Gründen führte er ein bescheidenes und genügsames Leben. Wie schön sind doch folgende Verse, die verdeutlichen, wie sich der Prophet seine unglaubliche Unschuld und Ungerührtheit selbst in Zeiten absoluter Armut und Bedürftigkeit bewahrte:
„Um den Hunger nicht zu spüren, band er einen Gürtel um seinen Bauch
Über die Steine, die auf seinen gesegneten Magen drückten.
Hohe Berge, die sich Gold wünschten, boten sich ihm an,
Er aber - dieser edle Mensch - ließ sich nicht von ihnen verführen.
Gerade Seine dringendsten Bedürfnisse zeigen seine Askese,
Denn diese Bedürfnisse schmälern seine Unschuld nicht.
Wie konnten Bedürfnisse den Einen einladen, zur Welt zu kommen?
Ohne den die Welt erst gar nicht aus ihrer Nicht-Existenz heraus entstanden wäre?"
Viele Aussagen nehmen zum Thema Askese Stellung. Der nachfolgende Text, mit dem ich dieses Thema abschließen möchte, stammt von Ali, dem vierten Kalifen und Cousin des Propheten, Friede und Segen seien mit ihm:
Die Seele weint und begehrt die Welt, obwohl sie doch weiß, dass
Das Heil darin liegt, ihr und all dem, was sie bereithält, zu entsagen.
Der Mensch wird nach seinem Tod keinen Wohnsitz mehr haben,
Nur den, den er sich noch im Leben erbaute.
Unsere Waren - wir horten sie, um sie unseren Erben zu vermachen;
Unsere Häuser - wir errichten sie, auf das die Zeit sie vernichte.
Viele Städte wurden errichtet und dann zerstört;
Ihre Erbauer - der Tod hat sie überwältigt.
Jede Seele - selbst wenn sie den Tod irgendwie fürchtet,
Schätzt die Anstrengungen, den Wunsch zu leben zu stärken.
Der Mensch unternimmt seine Anstrengungen, der Tod aber wischt sie hinfort;
Die Seele des Menschen vervielfältigt sie, der Tod jedoch setzt ihnen allen ein Ende.
O Gott! Zeige uns die Wahrheit, wie sie ist, und mache es uns möglich, ihr zu folgen; zeige uns die Lüge, falsch wie sie ist, und hilf uns, ihr zu widerstehen. Amen, o Du Barmherzigster aller Barmherzigen!
[1] 4:77
[2] 28:77
[3] 29:64
[4] siehe Quschairi, ar-Risala, 115
[5] Ahmad ibn Hanbal, Musnad, 4.197
[6] Ahmad ibn Hanbal, Musnad, 4.197"
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