Ein strahlender Monat in einer sich verdunkelnden Welt
Die Welt, in der wir leben, wird unablässig von immer neuen Krisen erschüttert. Wir Menschen sind unentwegt rastlos und leben mit Alpträumen. Doch nun nähert sich der Ramadan, erscheint am Firmament wie der stille Vollmond. Sein gleißendes Licht vertreibt schon jetzt die Finsternis von unserem Horizont, und obwohl er nur eine Zeit lang strahlt, erfüllt er unsere Seele mit Frohmut.
Wie sehr Denken und Fühlen der Menschen auch getrübt sein mögen - der Ramadan schenkt uns in vielerlei Hinsicht einen Blumenstrauß von überwältigender Leuchtkraft. Er reinigt die Herzen von Staub und Rost, lässt sie in ihrem ursprünglichen Glanz aufschimmern und sättigt sie mit seiner ureigenen Farbe. Er vertreibt allen Nebel, der uns den Blick versperrt, und verströmt in den Herzen den Wohlgeruch und die Freude der Himmel. Er lindert unsere Sorgen und glättet unsere harten, aggressiven Gedanken. Fast immer bringt er uns Gelassenheit und Frieden. Seine Wesenszüge, sein Zauber und seine vielgestaltigen Schattierungen erlauben unserer Seele aufzuatmen. Wenn wir den Ramadan nur zu uns einladen, erweist sich dieser gesegnete Monat gewiss als überaus reizvoll. Er bewahrt sich seine Frische von einem Jahr zum nächsten. Sein Abschied erfüllt uns mit Wehmut, und so warten wir von da an sehnsüchtig auf den Tag seiner Rückkehr. Doch in gewisser Weise verbindet uns mit den Iftar- und den Sahur-Mahlzeiten oder mit den Tarawih-Gebeten auch ein Band der Vertrautheit. Insofern bringt uns sein Beginn ebenso wenig aus der Fassung, wie uns sein Ende überrumpelt. Dieser Monat besitzt eine außerweltliche Seite, die wir allein von innen heraus erfassen können. Und diesem Aspekt verdanken wir es, dass der Ramadan in der Lage ist, unser Ego zu erziehen, unser Herz zu reinigen, unsere Gefühle zu läutern und uns in einer frischen Sprache immer neue Erkenntnisse zu bringen. Daneben sorgt dieser Aspekt dafür, dass der Ramadan nie seinen Glanz und seine ganz besondere Farbe verliert oder langweilig wird und uns als seine Gastgeber ermüdet. Im Gegenteil, stets kommt er zu uns wie der Frühling und umfängt uns sanft mit seinem Charme. Wenn er dann wieder aufbricht, lässt er uns mit dem Gefühl zurück, der Herbst sei gekommen.
Der Ramadan, dieses himmlische Mysterium, erschließt sich uns von Jahr zu Jahr mit neuer Tiefgründigkeit und neuem Zauber. Kein Ramadan gleicht dem anderen, was unsere glühende Liebe zu diesem Monat noch weiter anfacht.
Der Beginn des Fastenmonats springt durch die Monate und Tage, von Jahreszeit zu Jahreszeit. Er durchflutet unser Herz mit dem Wetter, den Farben und den Motiven der unterschiedlichen Jahreszeiten: Einmal spendet er der Brust des kalten Winters seine himmlische Wärme. Dann wieder schließt er einen Bund mit der Hitze des Sommers und fordert uns auf, unsere ganze Willenskraft zu mobilisieren. Er appelliert an unsere Entschlossenheit und dirigiert unseren Blick zu den Horizonten des spirituellen Lebens. Einmal legt er sich wie Tau auf die Blumen des Frühlings und rezitiert vor unseren Augen Gedichte des Wiederauflebens. Dann wieder durchbohrt er mit seiner himmlischen Freude die Dunkelheit des Herbstes und entführt uns aus der Beschränktheit der vergänglichen Welt in die weite und entspannte Atmosphäre des Außerweltlichen.
Dank astronomischer Berechnungen wissen wir genau, wann dieser gesegnete Monat beginnt und endet - schließlich kennen wir ja auch die Zeiten des Auf- und Untergangs von Sonne und Mond. Und trotzdem verblüfft uns jeder Ramadan mit neuen Überraschungen und stellt unser Alltagsleben auf den Kopf. Er diktiert uns, wann wir zu essen, zu trinken, zu Bett zu gehen und aufzustehen haben, und er verwandelt uns - in dem Maße, wie wir es zulassen - in spirituelle Wesen. Mit seiner ganzen Intensität erzählt er unserem Herzen von jenen Wahrheiten, die aus den Sphären jenseits der Himmel stammen.
Wenn der Ramadan beginnt, hat es den Anschein, als stiegen die Himmel zur Erde hinab: die hell erleuchteten Straßen, die Lichterketten, die die Minarette der Moscheen zieren, und die zwischen den Lämpchen wehenden Ramadanbotschaften, die Feuerwerke, die hier und da abgebrannt werden und die uns an die Sterne und Meteoriten am Firmament erinnern; die tiefe Spiritualität der Moscheebesucher, die immer reiner und feinfühliger werden, bis sie in ihrer Unschuld schließlich sogar Engeln ähneln, ihre Wachsamkeit, die Art und Weise, wie sie das Fasten beginnen und brechen - all diese Eindrücke vermitteln uns das Gefühl, Seite an Seite mit spirituellen Wesen zu gehen. Und dieses Gefühl trügt nicht, denn gläubige Menschen, die sich den weiten Horizonten von Herz und Spiritualität öffnen, empfinden jedes Frühmahl als Bankett. Jedes Fastenbrechen erfüllt sie mit Wohlbehagen, und jedes Tarawih-Gebet spendet ihnen spirituelle Freude. Diese Menschen leben oft in dem Bewusstsein, in einer ganz und gar traumhaften Welt zu leben.
Der gesegnete Monat Ramadan trägt das Kleid der Vergebung Gottes; und diese Vergebung verspricht er all jenen, die sich in seiner Aura sonnen. Er wirkt auf jeden Menschen anders, abhängig davon, wie gläubig der Einzelne ist. Mit seinem einzigartigen Liebreiz weitet er die Herzen der Gläubigen, und in der Persönlichkeit der Gläubigen spiegelt sich sein Glanz. Der Ramadan macht den Gläubigen das Mysterium der Sphären des Jenseits greifbar, auch wenn ihnen dies nicht unbedingt bewusst sein mag. Er ebnet ihnen den Weg, sich von ihrer Körperlichkeit zu lösen und im wahrsten Sinne des Wortes zu neuen Menschen zu werden.
Das Nahen des Ramadan lässt in den Gefühlen der Menschen das Flüstern der kommenden Welt erahnen, und die Wahrnehmung der Sphären des Jenseits überwältigt die Welt wie ein unvergleichlich schöner Duft. Einen ganzen Monat lang präsentiert uns dieser gesegnete Zeitabschnitt seine so tiefgründigen stillen Gedichte, die in erster Linie auf Glaube und Anbetung gründen und uns magische Horizonte eröffnen, zu denen die Wissenschaften niemals vordringen könnten. Vom Anblick dieser Horizonte mögen wir uns kaum trennen.
So wie die Sonne bis zu einem gewissen Grad auf alles Leben auf Erden einwirkt und so wie sich ihre Strahlen in jedem Objekt auf unterschiedlichen Frequenzen widerspiegeln, wirken die Welten jenseits der Himmel im Monat Ramadan über unterschiedliche Frequenzen auf die Erde und ihre Bewohner ein. Nutznießer sind vor allem die Herzen der Gläubigen.
Die reinen spirituellen Sphären verströmen allerorten einen Geist, eine Bedeutung und eine Faszination, die weit stärker sind als das Licht der Sonne. In den Herzen, die sich Gott hingeben, manifestieren sie ihre ganze beeindruckende Tiefe und stärken den Glauben ihrer Besitzer. So rücken diese Welt und die Welt des Jenseits immer enger zusammen, bis sie schließlich Schulter an Schulter stehen. Der Welt des Jenseits fließen die Gebete unserer Welt zu, während sie uns ihrerseits Gunst und Segen spendet. Diese Gegenseitigkeit inspiriert uns zu vollkommenen Träumen und Empfindungen. Sie lässt uns erkennen, dass nichts anderes in dieser Welt auch nur annähernd so schön und faszinierend sein kann. Zuweilen werden wir auch dadurch beflügelt, dass sich in den Moscheen die Klänge mit den Lichtern vermischen. Dann dürfen wir einen Zustand genießen, der so wunderbar ist, dass wir ihn nie wieder verlassen möchten. Doch auch wenn irgendwann der Moment gekommen ist, wird unser Herz weiterhin im Rhythmus dieses Ereignisses schlagen.
Im Ramadan fühlen wir uns jeden Tag wie auf einem Fest, und während wir zwischen Arbeit, Zuhause und Moschee pendeln, sind wir uns der wohligen Wärme dieses Monats stets bewusst. Wir spüren sie sogar dann, wenn wir in Träume versinken, die sich in das Außerweltliche erstrecken. Immer wieder eilen wir zur Moschee, um die Distanz zu unserem Herrn zu verringern. Indem wir beten, stärken wir unseren Wunsch nach Frömmigkeit, und dadurch, dass wir aufrichtig bereuen und Zuflucht bei Gott suchen, bemühen wir uns redlich, uns von allem spirituellen Ballast zu befreien. Wir wissen unseren Platz in der Gegenwart Gottes zu schätzen; denn er bietet uns die einmalige Chance, uns zu reinigen und unserem Leben eine neue Farbe zu verleihen.
So liegt unser Leben nicht länger vor uns wie ein Rätsel, dessen Antwort wir nicht kennen. Vielmehr verwandelt es sich in eine Schönheit, von der wir gar nicht genug bekommen können. Wir atmen es, fühlen es und saugen es förmlich in uns auf.
Der Gebetsruf, der durch die Nachbarschaft hallt, die Klänge der Anbetung Gottes, die aus den Moscheen dringen, die faszinierende spirituelle Atmosphäre dort, die ganz eigene Sprache der Tarawih-Gebete, die gleichsam von allen Muslimen, egal ob Mann oder Frau, jung oder alt, verrichtet werden - all diese Aspekte erheben den Ramadan auf eine so einzigartige Stufe, dass jeder, der seinen Geboten folgt, mit seinen vielfältigen Inspirationen belohnt wird und sich Schulter an Schulter mit den Bewohnern der Himmel weiß. Die Fähigkeit zu dieser Art von Wahrnehmung hängt jedoch auch von der spirituellen Stärke des Einzelnen ab. Es kommt vor, dass sich gläubigen Menschen im Ramadan so lebendige Eindrücke vom Außerweltlichen eröffnen, dass sie sich, während sie den Rufen von den Minaretten lauschen, fühlen, als würde Bilal persönlich, der Muezzin des Propheten Muhammad, sie zum Gebet rufen. Sie betrachten den Imam als einen privilegierten Menschen, dem der Titel eines Statthalters Gottes verliehen wurde, und ihre Mitmenschen als die gesegneten Gefährten, denen die Ehre zuteil wurde, den Propheten zu schauen. Von dieser Erkenntnis sind sie ganz und gar durchdrungen. Oft können sie ihre Tränen kaum zurückhalten und wähnen sich nur mehr einen Schritt vom Paradies entfernt.
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