„Unsere Allianz ist mit Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Freiheit, nicht mit Parteien“
Im Interview mit dem WSJ bekräftigte der Islamgelehrte Fethullah Gülen seine Äquidistanz zu allen politischen Parteien. Seine Unterstützung gelte nicht einer bestimmten Partei oder Person, sondern der Demokratie, Rechtstaatlichkeit und Freiheit.
Am Dienstag erschien eines der seltenen Medieninterviews, die der türkische Islamgelehrte Fethullah Gülen in seinem Exil in Pennsylvania gibt, im „Wall Street Journal“.
In dem Gespräch mit den Journalisten Joe Parkinson und Jay Solomon geht der Gelehrte vor allem auf die derzeitigen innenpolitischen Spannungen in der Türkei ein.
Gülen betont dabei, dass er nie politische Allianzen unterstützt habe, die dazu geführt hätten, dass die Anhänger der Hizmet-Bewegung sich mit der AKP, der CHP oder welcher Partei auch immer verbünden und dass dies auch weiterhin nicht der Fall sein werde.
Man handle auf der Basis der Werte von Demokratie sowie universellen Menschenrechten und - Freiheiten, deshalb habe man das von der AKP forcierte Verfassungsreferendum 2010 mitgetragen. Man hätte dieses, wäre es in gleicher Weise mit den Beitrittsanforderungen zur EU konform gewesen, aber auch dann gemacht, wenn die CHP es betrieben hätte.
Viele Hizmet-Anhänger hätten die AKP unterstützt, weil diese Demokratiereformen, das Ende der Bevormundung durch das Militär und den offiziellen EU-Beitrittsprozess bewirkt habe. Man habe stets alles befürwortet, was man für richtig und mit einem demokratischen Staatswesen konform hielt – und man habe kritisiert, was man für falsch und konträr dazu hielt. An diesen Werten und Positionen halte man weiterhin fest. Wie sich das in politischer Hinsicht und bei den Wahlen auswirken solle, müssten das türkische Volk und unvoreingenommene Beobachter beurteilen.
„Gut, aber nicht ausreichend“
Die Türkei habe in den letzten 15 Jahren enorme Fortschritte gemacht, zwischen 2003 und 2010 gab es einen regelrechten demokratischen Reformschub, der allenfalls durch vereinzelte Rückschritte wie die zu invasiven Anti-Terror-Gesetze 2005 getrübt worden wäre. Man wünsche eine Fortsetzung dieser politischen und wirtschaftlichen Aufwärtsentwicklung, deshalb habe man das Referendum auch unter dem Motto „Gut, aber noch nicht ausreichend“ unterstützt. Leider sei die positive Entwicklung zum Stillstand gekommen.
Gülen fand auch klare Worte zu den „Umbaumaßnahmen“ seitens des Premierministers im Sicherheitsapparat. Selbstverständlich müsse es Sanktionen und Schritte geben, sobald Staatsbedienstete tatsächlich die Gesetze des Landes oder die Regeln innerhalb ihrer Institutionen brechen. Wenn sie allerdings nur ihren Job machen und sie diskriminiert werden, weil eine politische Gesinnungsprüfung ergeben habe, dass sie nicht in das gewünschte weltanschauliche Konzept passen, dann sei das unvereinbar mit Demokratie, Herrschaft des Rechts oder universellen Menschenrechten.
Ideologie- oder sympathiebasierte Personalrochaden, so Gülen, wären ein Merkmal des früheren Systems. Man habe Wahlen mit dem Versprechen gewonnen, dies zu beenden. Nun aber würden Beamte ohne Verfahren ihrer Posten enthoben, die vor wenigen Monaten noch als Helden galten.
Regierung darf Justiz nicht unglaubwürdig machen
Eine „Unterwanderung von Polizei und Justiz“ seitens der Hizmet-Bewegung habe es zu keiner Zeit gegeben. Man habe aber die türkische Bevölkerung stets nachdrücklich dazu aufgefordert, Bildungschancen zu nutzen und auf diese Weise mehr Menschen den Weg in Institutionen zu ermöglichen, die zuvor nur wenigen Privilegierten offen gestanden hatten. Jeder Bürger in der Türkei sollte die Chance haben, durch Fleiß und Anstrengung jede Position erreichen zu können – und die Absolventen der Bildungseinrichtungen hätten in weiterer Folge oft den Aufstieg geschafft, auch in Beamtenposten.
Was die geplante Wiederaufnahme der Strafverfahren zu Gunsten der verurteilten Putschgeneräle anbelangt, begrüße Gülen jede Wiederaufnahme dann als Ausdruck eines Menschenrechts, die auf neuen Beweisen oder schweren Verfahrensfehlern beruhen. Wenn allerdings eine kollektive Reinwaschung kurz zuvor verurteilter Personen ohne erkennbare Grundlagen erfolgen solle, würde dies die Glaubwürdigkeit des Rechtsstaats unterminieren. Abgesehen davon würde es die vorangegangenen Bemühungen der Regierung ad absurdum führen, die militärischen Autoritäten der zivilen Herrschaft zu unterstellen.
Hätte man tatsächlich Fehler bei den Ermittlungen seitens der Staatsanwälte bemerkt, hätte man ein Gesetz einführen können, das die Ermittlung gegen Militärangehörige von der Zustimmung des Premierministers abhängig macht. Ein solches hätte man ja auch geschaffen, als die Staatsanwaltschaft gegen den Leiter des Geheimdienstes (MIT) ermittelt hatte wegen angeblicher Beteiligung von Geheimdienstmitarbeitern an terroristischen Akten der PKK/KCK.
Hizmet hat für alle offen zu sein
Die Wiederaufnahmerhetorik, so Gülen, sei rein politisch motiviert und nicht von einer Sehnsucht nach Gerechtigkeit für Militäroffiziere. Nach vier Putschen des Militärs gegen gewählte türkische Regierungen in der Geschichte des Landes würde ein solcher Schritt einen schweren Schlag gegen die demokratischen Reformen der letzten Jahre darstellen.
Gülen kritisierte auch das Vorgehen der Regierung gegen Wirtschaftsunternehmen wie Bank Asya, die Koza- oder Istikbal-Gruppe.
Spekulationen, wonach die Hizmet-Bewegung den aktuellen Staatspräsidenten Abdullah Gül dazu ermuntern wolle, Premierminister zu werden, oder zu den Kommunalwahlen die CHP unterstützen könnte, trat der Gelehrte entgegen. Man wolle zu allen politischen Akteuren und Parteien Äquidistanz halten und sich nicht an Spekulationen beteiligen. Die Hizmet-Anhänger würden individuell und jeder für sich entscheiden, welcher Kandidat welcher Partei ihren Werten am besten entspreche. Es sei eine Pflicht für Hizmet als soziale Bewegung, für alle offen zu sein. Aber die Werte, für die Hizmet stehe, seien unverhandelbar, nämlich Demokratie, universelle Menschenrechte und Freiheiten, eine transparente und verantwortliche Regierung.
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