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Tawakkul, Taslim, Tafwiz und Thiqa (Gottvertrauen, Unterwerfung, innere Verbundenheit und Zuversicht in Gott)

Gottvertrauen, Verzicht, innere Verbundenheit und Zuversicht in Gott sind die vier Stufen oder Stationen einer spirituellen Reise, die mit dem Vertrauen auf Gott ihren Anfang nimmt, über die Wahrnehmung der eigenen Hilflosigkeit und Geringfügigkeit Ihm gegenüber führt und schließlich endet, wenn man all seine Angelegenheiten Gott anvertraut, um Ruhe und Gelassenheit im Herzen zu erlangen.

Gottvertrauen bedeutet, Gott große Zuversicht entgegen zu bringen und sich unwohl zu fühlen, wenn man das Gefühl hat, bei anderen Quellen der Kraft Zuflucht zu suchen. Ohne diese Zuversicht lässt sich nicht von Gottvertrauen (tawakkul) sprechen, und so lange die Türen des Herzens auch anderen offen stehen, lässt sich kein Gottvertrauen erwerben.

Gottvertrauen heißt, von allen zur Verfügung stehenden Mitteln Gebrauch zu machen und alle erforderlichen Bedingungen zu erfüllen, um ein erwünschtes und angestrebtes Resultat zu erreichen, und dann abzuwarten, was der Allmächtige tun wird. Die nächst höhere Stufe ist der taslim (die Unterwerfung [unter Gott]). Viele Freunde Gottes haben diese Stufe so charakterisiert, als läge der Eingeweihte hier wie ein toter Körper in den Händen eines Totenwäschers vor der Macht und dem Willen Gottes. Der Name der dritten Station lautet ,tafwiz' (innere Verbundenheit [mit Gott]). Auf dieser Stufe überlässt der Eingeweihte alle Dinge und Angelegenheiten Gott und hofft, von Ihm alles zu bekommen. Gottvertrauen markiert den Ausgangspunkt der Reise, Unterwerfung ihr Ende; die innere Verbundenheit hingegen ist das Resultat dieser Reise. Sie besitzt viele Bedeutungen, die jedoch eher für jene Menschen von Wichtigkeit sind, die ihre Reise bereits fast abgeschlossen haben, als für Anfänger. Die innere Verbundenheit liegt jenseits der Station der Unterwerfung, die wiederum Überzeugung von der eigenen Hilflosigkeit und Bedürftigkeit gegenüber der Macht und dem Reichtum Gottes erfordert, und jenseits dessen, was es heißt, im Herzen die Bedeutung des Satzes Es gibt keine Macht und Kraft außer bei Gott. zu fühlen. Die innere Verbundenheit verlangt größtes Vertrauen auf Gott und auf die Hilfe Seines Schatzes, die der Quelle dieses Satzes entspringt. Mit anderen Worten: Die innere Verbundenheit drückt aus, dass sich der Reisende auf dem Weg zu Gott dadurch, dass er auf Gott vertraut und die Unterstützung seines Gewissens sucht, gewarnt fühlt und sich - seiner Hilflosigkeit und Bedürftigkeit vollkommen bewusst - der einzigartigen Quelle der Macht und des Willens zuwendet und spricht: „Nimm mich an die Hand und halte mich fest; denn ohne Dich kann ich nichts tun!

Wenn tawakkul besagt, dass ein Diener all seine weltlichen und außerweltlichen Angelegenheiten seinem Herrn überantwortet, trägt tafwiz die Bedeutung, dass er sich vollkommen der Tatsache bewusst ist, dass es wirklich sein Herr ist, der alles tut, der alle Resultate herbeiführt und der alle Dinge und Handlungen bewirkt, deren Verdienst er sich normalerweise selbst zuschreiben würde.

Gottvertrauen beinhaltet, dass der Diener Gottes Gott vertraut und die Tür seines Herzens vor allem und jedem anderen als Gott verschließt. Auf das Äußere bezogen kann man die Erfüllung aller Gebetsvorschriften als Gottvertrauen einstufen, auf das Innere bezogen beinhaltet Gottvertrauen die Verbundenheit mit Gott, dem Herrn der ganzen Schöpfung, dem Alleinigen Verwalter des Universums. Dies drückt Schihab in den folgenden Versen aus:

„Vertraue in allen Angelegenheiten auf den Gnädigen Gott;
Wer auf Ihn vertraut, ist niemals verloren.
Vertraue dich Gott an und warte geduldig ab, was Er mit Dir im Sinn hat.
Denn als Geschenke Gottes kannst Du nur das bekommen, was Du von Ihm erwartest."

Umar, der zweite Kalif, wollte in einem Brief an Abu Musa al-Asch'ari wohl auf den gleichen Punkt hinweisen:

„Wenn du dich dem, was Gott mit dir vor hat, und der Art und Weise, wie dies geschehen soll, auslieferst (d.h. wenn du gegen nichts, was dir zustößt, protestierst), ist das genau richtig. Gelingt dir dies aber nicht, ertrage dein Schicksal mit Geduld!"

Aus anderer Perspektive betrachtet steht tawakkul in den Augen der Allgemeinheit vor allem für das Vertrauen, das man in Gott setzt, und für die Zuversicht, mit der man Gott begegnet. Taslim wiederum bezeichnet dort den Zustand derer, die zum spirituellen Leben berufen wurden, und tafwiz bedeutet, sich nicht durch Geld oder weltliche Probleme aufhalten zu lassen. Damit ist tafwiz eine Station, die nur den Fortgeschrittensten auf dem Gebiet der Spiritualität vorbehalten ist. Wenn ein Reisender auf dem Pfad zu Gott, der sich durch tafwiz auszeichnet, Geld und Problemen ein gewisses Maß an Bedeutung einräumt, tut er das nur, weil er ja in der Sphäre des Geldes und der weltlichen Probleme - in der materiellen Welt - lebt und sich auf Grund dessen auch mit ihnen beschäftigen muss. Gott hat in dieser Welt allem, was Er erschaffen hat, nur eine vorübergehende Form gegeben. Wenn der Eingeweihte aber Geld und weltlichen Dingen Priorität einräumt, obwohl er weiß, dass Gott alles so einrichtet, wie Er es für richtig hält, und die Zügel aller Dinge in Seiner Hand hält, wird er tief fallen und wie ein Parasit auf der Erde herumkreuchen, obwohl er doch gleichzeitig ein Vogel ist, der in den höchsten Sphären des Himmels fliegt. Vom Leben der rechtschaffenen Menschen wird erzählt, dass einer von ihnen, während er sich um Fortschritte bemühte, dabei aber den Wert von Geld und weltlichen Angelegenheiten überschätzte, diese Stimme hörte:

„Hör auf, Vorkehrungen zu treffen, denn Vorkehrungen ziehen Verderben nach sich;
Vertraue Uns deine Angelegenheiten an, denn Wir geben besser auf dich Acht als du selbst."

Die eigenen Angelegenheiten Gott anzuvertrauen, ist eine wahre Heldentat, die nur diejenigen vollbringen können, die an Gott festhalten, auch wenn sie unter den Menschen leben.

Wenn jemand die notwendigen Schritte unternimmt oder Vorbereitungen trifft, um ein gewisses Resultat zu erzielen, ohne ihnen dabei irgendeinen schöpferischen Effekt zuzumessen, kann das für die Allgemeinheit ein Zeichen von tawakkul sein. Für jene aber, die sich der Realitäten jenseits der sichtbaren Dimension bewusst sind, verkörpert ein solches Vorgehen taslim. Für Menschen, die wahren Frieden und Gelassenheit des Herzens erlangt haben, kann dieses Vorgehen auch für tafwiz oder thiqa (Zuversicht in Gott) stehen. Sehr treffend in diesem Zusammenhang erscheint mir ein Ausspruch des Gesandten Gottes, der aufgewandte Bemühungen, tawakkul und tafwiz miteinander kombiniert:

Wärest du in der Lage, so auf Gott zu vertrauen, wie wahres Vertrauen es erfordert, würde Er dich mit allem versorgen, was Er auch Vögeln schenkt, die ihr Nest morgens hungrig verlassen und abends gesättigt zurückkehren.[1]

Diese Tradition berichtet uns von unterschiedlichen Wahrheiten für Menschen verschiedener spiritueller Ebenen. Was dies für die Allgemeinheit bedeutet, fasste Mawlana Dschalal ad-Din ar-Rumi so zusammen:

„Selbst wenn das Gottvertrauen ein Wegweiser ist,
ist das Treffen von Vorkehrungen eine Praxis des Propheten.
Er wies (einen Beduinen als Antwort auf dessen Frage hin) lauthals zurecht:
Binde erst einmal dein Kamel an, bevor du dich auf Gott verlässt!"

Von dieser Bedeutung ist auch im Koranvers Auf Allah mögen denn diejenigen vertrauen, die sich auf (Allah) verlassen wollen.[2] die Rede.

Wer auf der Ebene der reinen Spiritualität lebt, entnimmt diesen Äußerungen, dass er sich Gott gegenüber in einer Position vollkommener Hilflosigkeit und Schwäche befindet, deshalb sein Vertrauen ganz in Seine Kraft und Stärke legt und zu einem ,toten Körper in den Händen eines Totenwäschers wird'. Der Vers Und vertraut auf Gott, wenn ihr Gläubige seid.[3] bekräftigt dies noch einmal nachdrücklich.

Diejenigen, die die Gipfel der ,Selbstverleugnung in Gott' und der ,Existenz mit Gott' umkreisen, rufen, selbst wenn sie - wie der Prophet Abraham - ins Feuer geworfen werden: Allah genügt mir.[4], und überantworten sich Gott zur Gänze. Ihnen genügt es zu wissen, dass Gott die Umstände, in denen sie sich befinden, kennt. Den höchsten Grad an innerer Verbundenheit entdecken wir jedoch beim Propheten Muhammad: Während seiner Emigrationszeit in Medina konnte er einmal von einer Höhle, in der er sich zusammen mit seinem besten Freund Abu Bakr versteckt hielt, die Füße seiner Verfolger sehen und deren Stimmen als von den Wänden der Höhle zurück geworfenes Echo hören. Trotzdem vertraute er in höchstem Maße und mit größter Zuversicht auf Gott. Er flüsterte Abu Bakr zu:

Trauere nicht; siehe, Allah ist mit uns.[5]

Auch im Vers Und wer auf Allah vertraut - für den ist Er sein Genüge.[6] wird auf die Bedeutung des Gottvertrauens hingewiesen.

Tafwiz und thiqa sind die höchsten Stufen des Vertrauens auf Gott. Wer diese Stufen erklommen hat, unterwirft sich nicht nur aus Gründen der Vernunft, der Logik und des Glaubens, sondern seiner inneren und äußerlichen Gefühle wegen ganz und gar allen Geboten Gottes und wird zum ,geschliffenen Spiegel' Seiner Namen, Eigenschaften und Handlungen, die sich in ihm widerspiegeln. Angehörige dieser Stufen kann man an bestimmten Auffassungen erkennen:

Sie sehen keine Notwendigkeit darin, Vorkehrungen zu treffen, da Gott dies für sie erledigt. Sie betrachten ihre Willenskraft als schwachen Abglanz des Willens Gottes und wenden sich Ihm zu. Sie sind mit der Behandlung durch Gott zufrieden, egal ob sie zu ihrem Vor- oder Nachteil gereicht, und sie stimmen allem zu, was ihnen durch den Willen Gottes widerfahren mag.

Der Autor des Werkes Minhadsch beschreibt diese Stufe des tafwiz folgendermaßen:

„Ich vertraute mich ganz dem Geliebten an.
Egal ob Er mich dabei sterben oder leben ließ."

Die Worte Wasifs aus Andarun sind ebenfalls sehr aussagekräftig:

„Was auch vorherbestimmt war - es wird eintreten; daher
Vertraue ganz auf Gott; trauere nicht, und leide keinen Schmerz!"

Eines der schönsten Worte zum Thema tafwiz stammt jedoch von Ibrahim Haqqi. Die einleitenden Verse seines Werkes Tafwiznama (Darstellung des tafwiz) lauten:

„Gott macht aus dem Bösen Gutes;
Denke niemals, Er würde das Gegenteil tun.
Wer Ihn kennt, schaut Ihm bewundernd bei Seiner Arbeit zu.
Sehen wir uns an, was unser Herr tut,
Er tut, was Er für richtig hält.
Vertraue auf Gott, auf die Wahrheit;
Vertraue ganz auf Gott in allen Dingen
Denn so wirst du Frieden finden.
Sei geduldig und stimme zu (dem, was Er mit dir vorhat).
Sehen wir uns an, was unser Herr tut,
Er tut, was Er für richtig hält."


[1] Tirmidhi, Zuhd, 33; Ibn Madscha, Zuhd, 14, Musnad, 1.30
[2] 14:12
[3] 5:23
[4] 39:38
[5] 9:40
[6] 65:3"

 

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