„Unser Dschihad ist die Bildung“
Die Gülen-Bewegung setzt sich für mehr Bildung von Muslimen ein. Fast ausschließlich junge Deutsch-Türken besuchen die Schulen der Organisation. Auch in Köln gibt es seit drei Jahren ein solches Gymnasium. Zulauf ist garantiert.
Was das deutsche Schulsystem nicht vermag, nimmt jetzt eine muslimische Organisation in die Hand. Die Bewegung des türkischen Predigers und Unternehmers Fethullah Gülen gründet in Deutschland Bildungseinrichtungen für Zugewanderte. Zwar ist man für alle offen, heißt es. Doch besuchen fast ausschließlich junge Deutsch-Türken die mittlerweile 150 Nachhilfevereine, 24 ganztägig und in kleinen Klassen betriebenen Privatschulen und sonstigen Bildungsangebote. Auch Köln hat seit drei Jahren ein solches Gymnasium in Buchheim. Zulauf ist garantiert.
Denn auch viele türkische Eltern wissen, dass ihre Kinder ohne gute Deutschkenntnisse und gehobene Schulabschlüsse keine Chancen in Deutschland haben. Deshalb ist eine wachsende Mittelschicht bereit, Schulgeld zu bezahlen oder per Spende solche Institutionen gründen zu helfen. Das alles geschieht von der deutschen Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt. Dabei ist der im US-Exil lebende Fethullah Gülen ein bekannter und reicher Mann, und seine Botschaft wird weltweit befolgt. „Baut Schulen statt Moscheen“ hat Gülen schon in den 90er Jahren verkündet. „Unser Dschihad ist die Bildung.“ In über 100 Ländern ist die Bewegung aktiv, von ehemaligen Sowjetrepubliken bis Afrika.
Frömmigkeit und Ehrgeiz
Was steckt hinter dieser muslimischen Bildungsbewegung? Hat sie das Potenzial, zum Partner des deutschen Schulsystems zu werden, wie der Islamwissenschaftler Stefan Reichmuth jetzt auf der zweiten Gülen-Konferenz in Bochum fragte. Die Anhänger Gülens vereinen Frömmigkeit mit Erfolgsstreben, Ehrgeiz und Elitedenken. Eine Kombination, die in säkularem Umfeld auf ungläubiges Staunen trifft.
Ist das nun „Islam light“ oder doch ein geschickter Plan der religiösen Unterwanderung? Beanstandungen gab es bisher nicht. Die Schulen wurden staatlich anerkannt wie katholische oder protestantische Schulen auch. Die Voraussetzungen dafür waren offenbar erfüllt. Der Unterricht läuft nach deutschen Curricula auf Deutsch, erste Fremdsprache ist Türkisch, und statt Religionsunterricht wird zur allgemeinen Überraschung nur Ethik gelehrt. Was aber hat das mit einer muslimischen Bewegung zu tun?
Die Gülen-Bewegung hat sich solchen Fragen erstmals 2009 auf einer Konferenz in Potsdam gestellt. Auch jetzt in Bochum versuchten namhafte Wissenschaftler der Initiative Konturen zu geben. Aber sie blieben viele Antworten schuldig. Größtenteils hätten sie diese auch gar nicht geben können, weil sie sich offenbar noch im Stadium der Recherche befinden. Die Vertreter der Bewegung selber dagegen blieben wortkarg und unscharf. Transparenz sähe anders aus.
Beobachter sehen darin ein immer wieder auftretendes Grundproblem. Obwohl die Gülen-Bewegung mittlerweile Millionen Anhänger zählt, verbindet sie keine feste Organisation, keine verbindliche Struktur, nur das Denken ihres Meisters. Das führte dazu, dass viele ihrer Schulen noch bis vor kurzem bestritten, der Bewegung überhaupt anzugehören oder ihr nahezustehen.
Auch die Gülen offenkundig wohlgesinnte Soziologin Ursula Boss-Nünning rief die Anhänger deshalb auf, ihre Ziele transparenter zu machen. Denn die Schulen, so die Integrationsforscherin, leisteten gute Arbeit. Und auch aus den Ministerien wird ihnen allenfalls vorgeworfen, nicht mit offenen Karten gespielt zu haben. Grundsätzlich stehe man den Angeboten offen gegenüber, heißt es im NRW-Integrationsministerium. „Es fehlt zurzeit aber noch an ausreichend Erfahrung, um zu einem endgültigen Urteil zu kommen.“
Dass es die Gülen-Schule ablehnte, nach dem NRW-Schulmodell Islamkunde zu unterrichten, fand auch der Direktor des Zentrums für interkulturelle Islamstudien an der Universität Osnabrück, Bülent Ucar, in seiner Zeit als Mitarbeiter im NRW-Kultusministerium „verdächtig“.
Die Kritiker hat das befeuert. „Durch den Verzicht auf Religionsunterricht entsteht ein falscher säkularer Eindruck“, findet der Gülen-Kenner Ralph Ghadban von der evangelischen Fachhochschule Berlin. Will die Bewegung auf diese Weise eine liberale Auslegung des Korans von ihren Schülern fernhalten? Denn Gülen vertritt keinen modernen Islam, meint der Islamwissenschaftler Bekim Agai. Modern sei das Ansinnen, der Islam dürfe sich modernen Ideen und somit der Wissenschaft nicht verschließen, weil er sonst nicht weiter bestehen könne. Gülen sehe Religion als Privatsache und sinnstiftende Alternative zur säkularen Gesellschaft an, erklärt auch die Religionswissenschaftlerin Ina Wunn. Letzte Instanz blieben aber Koran und Scharia.
Gleichstellung abgelehnt
Die Frömmigkeit, nicht der Islam müsse erneuert werden, sagt Gülen. Was aber bedeutet das für das praktische Leben eines Muslim im 21. Jahrhundert? Für eine deutsche Öffentlichkeit absolut befremdlich mussten die Darlegungen der Gülen-Anhängerin Sevdanur Özcans klingen. Fethullah Gülen lehne die absolute Gleichstellung von Mann und Frau ab, referierte sie. Frauen und Männer konkurrierten nicht, sie ergänzten einander und hätten daher unterschiedliche Pflichten.
In die Schulen finden solche Ideen offensichtlich keinen Einzug. Kaum eines der Mädchen dort trägt sich betont islamisch. Es geht um Fleiß, gute Noten und die Unterstützung dafür. Wird deshalb die religiös konservative Unterweisung auf Freizeitaktivitäten und Nachhilfe verlagert, wie Ralph Ghadban behauptet?
Dort nämlich arbeiten viele Ehrenamtliche, die sich zur Bewegung rechnen. Ist der Dienst am Menschen dabei gleichzeitig islamische Mission? Die Gülen-Anhänger würden sagen, dass sie mit ihrem Engagement in der Tat ein Vorbild für gute islamische Lebensführung sind.
- Erstellt am .