Von einer islamischen Welt kann heute keine Rede sein
Nach fünf Jahren, die er nun schon in den USA lebt und in denen er unter einer schlechten Gesundheit leidet, hat Fethullah Gülen sein Schweigen gebrochen und Nuriye Akman ein Interview gewährt. Gülen äußert sich darin zu Entwicklungen in der Türkei und der Welt und antwortet auf alle Anschuldigungen, die ihn selbst betreffen. Außerdem spricht er darüber, was die Jahre des Heimwehs für ihn bedeuten. Gülen verfolgt die Spuren seiner Sehnsucht nach der Heimat und stellt fest: „Die vergangenen fünf Jahre waren vielleicht die schmerzhaftesten meines Lebens." Als Mitarbeiterin der Zeitung ""Sabah"" habe ich Fethullah Gülen bereits vor 10 Jahren in Izmir interviewt.
Jenes Interview markierte einen Wendepunkt. Damals teilte er sich erstmals einer ,nicht eingeweihten' Journalistin mit. Er erklärte, wer er war und was er zu tun gedachte. 10 Jahre später, diesmal in den USA, erhielt ich als Mitarbeiterin der Zeitung Zaman erneut die Chance, mit ihm zu sprechen. Ich sage bewusst, „ich erhielt die Chance", denn wie all meine Kollegen fragte auch ich mich, wie er in den USA lebte, wie diese lange Isolation sich auf seine Gefühle und Gedanken ausgewirkt haben mochte und wann er in die Türkei zurückkehren würde. Ich wünschte mir, die erste Journalistin zu sein, die seine verborgenen Gedanken enthüllt. Ich bin sehr glücklich, dass ich die Chance hatte, diesen Prozess der Verbannung dokumentieren zu dürfen.
Beginnen möchte ich mit dem Thema, dass seine Anhänger und Kritiker wohl am meisten interessieren dürfte: Wo und wie lebt Fethullah Gülen?
Er lebt in einer Kleinstadt in einem Haus, das seiner Nichte gehört und in einem kleinen Wäldchen mit Pinien- und Kastanienbäumen, Wacholdersträuchern und Eichen liegt. Dieser Ort ähnelt dem, was Yahya Kemal in seinen Gedichten beschreibt: Er ist ein Platz, der die Seele unter kühlen Zypressen zur Ruhe kommen lässt - weit entfernt vom närrischen Treiben der Massen. Die Zeit dort vergeht nur sehr langsam. Beehrt wird er dann und wann von den Besuchen von in den USA lebenden Türken. Tagsüber ertönen die Flügelschläge von eilig vorüber ziehenden Vogelschwärmen über den Dächern der Häuser. Mond und Sterne strahlen in all ihrer Majestät an einem Firmament, das von keiner Lichtverschmutzung getrübt wird. Es wimmelt nur so von Eichhörnchen und Rehen.
Aber wenn Sie erwarten, dass Fethullah Gülen lange Spaziergänge in den Wald unternimmt und mit Freude verfolgt, wie ein sprudelnder Bach in einen kleinen Teich mündet, liegen Sie falsch. Er verlässt sein Zimmer nur zum Beten und zu Essenszeiten. Vom Wald ganz zu schweigen, hat er in den fünf Jahren nicht einmal fünf Schritte in den Garten gesetzt.
Gut, aber warum nicht? Von Diabetes bis zu Herzleiden, von hohem Blutdruck zu Problemen mit dem Cholesterinspiegel haben viele körperliche Beschwerden einen Anteil daran. Aber ich denke, die wahre Antwort liegt in seiner Seele verborgen. In den Interviews werden Sie einige Hinweise darauf finden.
Ich habe mich selbst davon überzeugen können, wie sehr die gesundheitlichen Probleme, die ein normaler Mensch wohl kaum ertragen könnte, ihn zermürbt haben. Sein Zustand veränderte sich ständig. Obwohl seine Augen seine Schmerzen nicht maskieren konnten, empfand er es als unhöflich, sich über sein Leiden zu beklagen, und versuchte, meine unaufhörlichen Fragen eingehend zu beantworten. Wenn sein Arzt der Meinung war, Gülen könne auf Grund von hohem Blutdruck, Fieber, Kopfschmerzen und der Unfähigkeit, auch nur ein einziges Wort zu formulieren, nicht weitermachen, forderte er ihn auf, eine Pause zu machen und sich zu erholen. Ich war wütend auf mich selbst, dass ich Gülen dazu antrieb, mit mir zu sprechen, noch bevor er sich völlig von seiner Herzoperation, die er kurz zuvor hatte vornehmen lassen, erholt hatte. Mein beruflicher Ehrgeiz aber siegte, und ich pflegte dann zu sagen: „Gut, das ist dann alles für heute, lassen Sie uns morgen fortfahren." Und er erwiderte: „...wenn ich nicht vorher sterbe."
Er deutete zwar an, ich sei im Begriff, die Grenzen zu überschreiten; aber mein Ego war nicht willens, diese Andeutung zu hören. Aus diesem Grunde möchte ich betonen, dass sich niemand von der vitalen Pose und von seiner rauen Kleidung auf den Fotos täuschen lassen sollte.
Kein einziges Mal traf ich vor ihm zum Interview ein. Ich möchte ihm dafür danken, dass er mich nie hat sitzen lassen, auch wenn er fühlte, dass es nicht die richtige Zeit war, seinen Gedanken Ausdruck zu verleihen. Zufällig durfte ich einmal einem temperamentvollen Vortrag beiwohnen, den er seinen Gästen hielt, als er sich gut fühlte. Es war der erste solche Vortrag, den ich selbst hörte; ein vielschichtiger Vortrag, in dem es um Sufismus, Geschichte, Geographie und Literatur ging. Er sprach Herz und Verstand gleichzeitig an und ermöglichte den Zuhörern, ihren Horizont so zu erweitern, wie es ihr Verstand zuließ. Ich glaube, er war deshalb in der Lage, so flüssig zu sprechen, weil es ihm in diesem Moment gelang, seine innere Bestürzung, die daher rührt, dass man ihm Unrecht angetan hat, zu zügeln.
Als ich darum bat, sein Zimmer sehen zu dürfen, wurde mein Wunsch nicht zurückgewiesen. Auf einem Doppelbett lag eine mit einfachen bunten Stoffmustern bestickte Bettdecke. In der Ecke stand ein Laufband. All die Dinge in seinem Zimmer waren nicht weiter von Bedeutung mit Ausnahme der Geschenke mit einem symbolischen Wert. In Einmachgläsern oder in Plastiktüten bewahrte Erde aus verschiedenen Regionen in der Türkei sollte dem Zweck dienen, seine Sehnsucht nach der Heimat zu stillen.
Fünf Jahre sind inzwischen vergangen, seit Sie nach Amerika gekommen sind, nicht wahr?
Am 22. März (heute) werden es fünf Jahre.
Was zeichnete Fethullah Gülen Hodschaefendi vor fünf Jahren aus und was heute?
Viel Zeit ist seitdem vergangen, und natürlich hat mich das beeinflusst. Was meinen Charakter betrifft, so kann ich nicht sagen, dass ich mich stark verändert hätte. Doch auf jeden Fall habe ich neue Dinge gesehen und neue Dinge gehört. Zuweilen wurde ich in den Gayyas [einen Brunnen in der Hölle] hinabgelassen. Aber ich habe geschwiegen.
Diese fünf Jahre waren vielleicht die schmerzhaftesten meines Lebens. Einer ähnlichen, ungerechtfertigten Überwachung war ich aber bereits zuvor fast 60 Jahre lang ausgesetzt. Schlussendlich wurde der Vorwurf dann fallen gelassen. Unabhängig davon, ob mir die Gründe dafür bekannt sind oder nicht, kann man sagen, dass seit dem 27. Mai einige Leute wiederholt auf einen bestimmten Knopf gedrückt haben, und andere zur Tat geschritten sind. Ich bin heute 66 Jahre alt. Seit ich 20 war, verlief mein Leben in etwa so. Doch dies hier war meine schmerzhafteste Erfahrung. Denn in gewisser Weise bin ich überempfindlich, so sehr, dass es schon fast an Hysterie grenzt. Ich fühle mich schon treulos, wenn ich nicht an einen Ort zurückkehre, an dem ich einmal eine Tasse Kaffee getrunken habe. Genauso geht es mir, wenn ich einer Straße untreu werde, über die ich früher immer gefahren bin. Ich habe in meinem Zimmer Erde aus 50 verschiedenen Regionen in der Türkei. Ich bewahre sie so gewissenhaft, wie ich die Erde der Kaaba bewahren würde. Ich betrachte sie und finde in ihr Trost. Auf der anderen Seite aber beherrsche ich mich, auch wenn ich das Gefühl habe, ein Stück glutrote heiße Kohle würde sich in meine Brust bohren, und ich knirsche mit den Zähnen, nur um niemanden zu provozieren.
Was hat Ihnen diese Zeit gegeben bzw. genommen? Wie hat sie sich auf Ihre Gesundheit und auf Ihren psychischen Zustand ausgewirkt?
Jede Geschichte hat zwei Seiten. Ursprünglich kam ich zur Behandlung hierher. In der Mayo-Klinik praktiziert Herr Sadi. Er stammt von der Krim. Er fuhr in die Türkei zurück und kam dann wieder. Sie kamen mit einer Delegation des Vorstands. Sie wollten mir einen Check Up machen. Die andere Seite ist, dass Druck ausgeübt wurde. Wieder und wieder gab es Gerüchte und Gerede. Auf der einen Seite standen erfreuliche Entwicklungen. Der Toleranz wurde in der Türkei ein immer bedeutenderer Platz reserviert, die Menschen respektierten ihre Positionen, und vor allem entwickelte sich die Toleranz zu einer Kultur. Auf der anderen Seite waren einige Leute aus bestimmten Gründen sehr beunruhigt. Mein Herz war in einem ziemlich schlechten Zustand, meine Diabetes verschlimmerte sich, und auch meine Cholesterinwerte gerieten außer Kontrolle. Ich wurde in die Mayo-Klinik eingeliefert. Ich hatte vor, ein paar Tage zu bleiben und dann zurückzukehren. Aus ein paar Tagen wurden einige Monate. Wegen all dieser Probleme sagten sie mir, eine Rückkehr werde meiner Gesundheit schaden. Ich bemühte mich also, weiterhin in Behandlung zu bleiben. Ich litt unter Osteoporose. Oft musste ich wegen meines Herzens ins Krankenhaus, insgesamt zwanzig Mal. Außer ins Krankenhaus ging ich nirgends hin. Ich wurde immer kränker, teils aus Schwermut, teils aus Schmerz. An diesen Orten erreichten mich keine Zeitungen, und ich hörte auch kein Radio. Ich hatte das Gefühl, dass mir das gut tat. Es befreite mich von dem, was um mich herum vorging. Doch die Sehnsucht nach der Türkei brannte die ganze Zeit in mir.
Individueller Islam statt islamische Welt
Die islamische Welt hat sich jahrelang zurückgelehnt und gesagt: „Islam und Terror, das passt nicht zusammen." Dann kam der 11. September. Anschließend explodierten in vielen Ländern Bomben, auch in der Türkei. Es stellte sich heraus, dass die Attentäter aus unserer Mitte stammten. Vor allem anderen: Müssen wir dagegen nicht aufbegehren?
Sie haben absolut Recht. Heute wird der Islam völlig missverstanden. Muslime sollten sagen: „Im wahren Islam gibt es keinen Terror." Denn im Islam ist das Töten eines Menschen gleich bedeutend mit Kufr (Unglauben). Niemand darf einen Menschen töten. Niemand darf einen Unschuldigen töten, selbst im Krieg ist das verboten. Niemandem steht es zu, zu diesem Thema eine Fatwa [ein Urteil im Islam, das von einem Spezialisten des religiösen Rechts zu einem bestimmten Thema gefällt wird] zu erstellen. Niemand darf sich als Selbstmordattentäter betätigen. Niemandem ist es erlaubt, mit Bomben am Körper in eine Menschenmenge zu stürmen. Völlig unabhängig von der Religionszugehörigkeit der Menschen in jener Menge verbietet dies die Religion. Selbst im Kriegsfall, wenn auf Besonnenheit keine Rücksicht genommen wird, ist das nicht statthaft. „Tut keinen Kindern und keinen Menschen, die in Kirchen beten, etwas zu Leide", heißt es. Und dies wurde nicht einmal gesagt, sondern immer und immer wieder. Was unser Meister (der Prophet Muhammad) sagte, wiederholte auch Abu Bakr, und was Abu Bakr sagte, wiederholte auch Umar. Was Umar sagte, wiederholten dann später auch Saladin, Alparslan, Kilicarslan und Fatih [Mehmet der Eroberer]. Als Konstantinopel, das chaotische Zustände erlebte, zu Istanbul wurde, wurde dies beherzigt. Das heißt, dass weder die Griechen den Armeniern etwas antaten noch die Armenier den Griechen. Auch die Muslime taten niemandem etwas zu Leide. Fatih rief den Patriarchen zu sich und übergab ihm den Schlüssel für das Patriarchat. Deshalb wurde nach der Eroberung Istanbuls ein großes Bildnis von Fatih angefertigt und im Patriarchat aufgestellt. Sie [das Patriarchat] erinnern sich voller Respekt an ihn. Heute wird der Islam, der unterschiedliche Gedanken immer toleriert hat, nur unzureichend verstanden - wie so vieles andere auch.
Ich bedaure dies sagen zu müssen, aber in der islamischen Welt haben einige Hodschas und unreife Muslime keine anderen Waffen. Der Islam ist eine gerechte Religion, die auch richtig gelebt werden sollte. Es wäre definitiv falsch, auf dem Weg zum Islam von sinnlosen Ausreden Gebrauch zu machen. Wenn das Ziel, das man verfolgt, ein gerechtes Ziel ist, dann sollten auch die Mittel zur Erreichung dieses Ziels gerecht sein. Aus dieser Perspektive betrachtet kann niemand dadurch ins Paradies eingehen, dass er einen anderen tötet. Kein Muslim kann sagen: „Ich werde einen Menschen töten und dann ins Paradies eingehen." Die Akzeptanz des Willens Gottes verdient man sich nicht dadurch, dass man andere Menschen tötet. Zu den wichtigsten Zielen eines Muslims gehört zum Einen, den Willen Gottes zu akzeptieren, und zum Anderen, den allmächtigen Namen Gottes im Universum bekannt zu machen.
Funktioniert so ihre Logik: Krieg wurde immer an der Front geführt. Heute jedoch finden sich überall Schlachtfelder. Akzeptieren sie diese Situation als einen Krieg? Glauben sie deshalb, dass sich ein Tor für sie zum Himmel öffnen wird?
Die Regeln des Islam sind eindeutig definiert. Individuen können keinen Krieg erklären. Weder eine Gruppe noch eine Organisation kann einen Krieg erklären, sondern einzig und allein der Staat. Niemand kann einen Krieg erklären, ohne dass ein Präsident oder eine Armee sagt, dass tatsächlich Krieg herrscht. Sonst würde ein relativer Krieg entstehen: Jemand eröffnet eine Kriegsfront, entschuldigen Sie meine Sprache, indem er einige Verbrecher um sich schart. Ein anderer schnappt sich weitere von ihnen. Man nehme nur einmal die Türkei. Dort gibt es Menschen mit einem ausgeprägt starken Willen. Aus deren Meinungsverschiedenheiten heraus ließe sich eine Kriegsfront eröffnen. Jemand könnte sagen: „Ich erkläre dem und dem den Krieg." Über einen Menschen, der Christen gegenüber tolerant ist, könnte es heißen: „Er hilft dem Christentum und schwächt den Islam. Ihm sollte der Krieg erklärt werden, und er muss getötet werden", und dann wird ihm tatsächlich der Krieg erklärt. So einfach ist das aber nicht. Solange der Staat keinen Krieg erklärt, kann auch niemand sonst einen Krieg erklären. Wer es dennoch tut, erklärt keinen Krieg im wahren Sinne, denn er verstößt gegen den Geist des Islam. Die Regeln für Frieden und Krieg im Islam sind fest umrissen.
Wenn es aber doch gegen den Geist des Islam verstößt, warum geschieht es dann dennoch in der islamischen Welt?
Meiner Meinung nach existiert gar keine islamische Welt. Es gibt Orte, an denen Muslime leben. An einigen Orten leben viele von ihnen, an anderen wenige. Man kann also von einem kulturellen Muslim-Sein sprechen. Es gibt Muslime, die den Islam in Übereinstimmung mit ihren Vorstellungen neu geordnet haben. Damit meine ich nicht den Radikalismus, die extremistischen Muslime. Die Hauptsache ist, dass man auf rechtmäßige Art und Weise glaubt und dass diesem Glauben zu seinem Recht verholfen wird. Man sollte sich zum Islam bekennen. Man kann nicht sagen, dass in der islamischen Geographie Gesellschaften mit einem solchen Konzept und einer solchen Philosophie nicht existieren würden. Damit würde man das Muslim-Sein beleidigen. Wenn wir behaupten würden, das Muslim-Sein existiere nicht, würden wir damit die Menschen beleidigen.
Heute sehe ich nicht, dass die Muslime einen Beitrag zum Gleichgewicht in der Welt leisten würden. Ich sehe nicht, dass die Regierenden von heute dieses Defizit erkennen. Die islamische Welt ist ziemlich unaufgeklärt. Man sieht das an der Pilgerfahrt. Man sieht das an Diskussionsrunden, an Konferenzen und an den Parlamenten im Fernsehen. Erst heute beginnt sich ein gewisses Maß an Aufklärung bemerkbar zu machen. Es fehlt an allen Ecken und Enden an Niveau. Sie können die Probleme der Welt nicht lösen. Vielleicht wird das in der Zukunft gelingen.
Sie meinen also, der Begriff ""islamische Welt"" sollte nicht verwendet werden?
So eine Welt existiert nicht. Was existiert, ist der individuelle Islam. Muslime leben in unterschiedlichen über den ganzen Erdball verstreuten Orten. Einzelgänger, auseinander gerissen. Ich persönlich sehe die erfolgreiche Existenz von Muslimen nicht. Solange es keine Muslime gibt, die in Kontakt mit den anderen Muslimen stehen und eine Gemeinschaft bilden, die gemeinsame Probleme lösen, das Universum interpretieren, es wirklich aufmerksam lesen und mit Hilfe des Koran betrachten, solange sie sich nicht um die Zukunft bemühen, Projekte für die Zukunft planen und nach ihrem Platz in der Zukunft suchen - solange spreche ich nicht von einer islamischen Welt. Weil es eine solche islamische Welt nicht gibt, tut jeder, was er will. Man kann sogar sagen, dass es Muslime gibt, die ihre eigene Wahrheit in Bezug auf den Islam haben. Es wäre falsch davon auszugehen, dass ein islamisches Konzept ganz von selbst allgemeine Zustimmung fände. Eher ist es so, dass bedeutende islamische Gelehrte bei einem bestimmten Thema zu einem Konsens finden, wenn sie den Koran präzise interpretieren und diesen Konsens mehrfach in der Praxis testen. Man kann aber wohl davon sprechen, dass es ein kulturelles Muslim-Sein gibt.
Vielleicht war es ja schon immer so und wird auch bis zum Ende der Welt so bleiben.
So ist es seit 5. Jahrhundert nach der Hidschra. Begonnen hatte es mit der Ära der Abbasiden oder mit dem Erscheinen der Seldschuken; und dann erst recht mit der Eroberung von Istanbul. Dies war eine Zeit, die dokumentierte, was Gott für uns gewollt hat. In der Folgezeit wurden die Tore für neue Interpretationen geschlossen. Die Horizonte des Denkens verengten sich. Die Weite in der Seele des Islam wurde begrenzt. In der islamischen Welt waren immer mehr gewissenlose Menschen zu Hause. Menschen, die reizbar waren, Menschen, die andere nicht akzeptieren konnten. Menschen, die sich ihren Mitmenschen nicht öffnen konnten. Diese Enge erfuhr man auch in den Derwischlogen. Es ist wirklich traurig, dass sie selbst in den Medresen [den theologischen Schulen] zu spüren war. Auf jeden Fall bedarf dies alles der Korrektur und der Erneuerung durch Menschen, die in ihren Fachbereichen Kapazitäten sind.
Sie meinen, deren Abschaffung [der Medressen und Derwischlogen] war eher positiv?
Diese Abschaffung war die Strafe Gottes, die sie traf.
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